Kaliber 38

Von J.C. Schmidt

Den modernen Naturwissenschaften verdanken wir eine Fülle perverser Fragen, mit denen wir uns auseinander zu setzen haben. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion um die Stammzellenforschung, die den Zeitgenossen mit der etwas merkwürdigen Überlegung konfrontiert: Was darf man mit überzähligen Föten machen oder eben nicht, bevor sie in der Bio-Tonne landen?

Die Diskussion ist nur ein schwacher Abglanz dessen, was uns im 21. Jahrhundert erwarten wird. Überlegen Sie nur kurz die Implikationen einer - prinzipiell machbaren - Gehirn- oder Kopftransplantation. Einen, äh, faszinierenden Ausblick auf diese und weitere Fragen bieten Jens Johler & Olaf-Axel Burow in ihrem Wissenschafts-Thriller "Gottes Gehirn".

In Florida wird der Klimaforscher John Eklund ermordet, dem Nobelpreisträger wurde das Gehirn extrahiert. Kurze Zeit später stirbt in Berlin der Zukunftsforscher Ralph Kranich im Anschluss an einen Vortrag. Bei den Recherchen zu den beiden Todesfällen stößt Richard Troller, Leiter des Wissenschaftsressorts beim Magazin Fazit, auf eine Reihe mysteriöser Unfälle, bei denen weitere Wissenschaftler ums Leben kamen. Sie alle hatten 1995 an einer Konferenz teilgenommen, die augenscheinlich ein ehrenwertes Ziel verfolgte: die Bündelung interdisziplinären Wissens zur Überwindung der wichtigsten Probleme der Menschheit - der Kriegsgefahr, der ökologischen Bedrohung und der Überbevölkerung.

Richard Troller und die Kriminalreporterin Jane Anderson, genannt "Calamity Jane", reisen in die USA, um andere Teilnehmer der Konferenz zu befragen. Ihren Trip tarnen sie als Interview-Reise, aus der eine journalistische Serie über die Aussichten der Wissenschaft im neuen Jahrtausend entstehen soll. Dabei stoßen Troller und Anderson auf ein gigantisches Projekt, in dem die Vereinheitlichung des Wissens viel konkretere Formen annimmt, als die beiden Journalisten es sich je hätten vorstellen können.

Erleben wir einen Übergang vom Terror der Ökonomie zum Terror der Wissenschaft als Kennzeichen im neuen Jahrhundert? Johler & Burow entführen ihre Leser in das Gruselkabinett moderner Möglichkeiten. Anschaulich referieren die Autoren über gegenwärtige Transplantionstechniken, über das Klonen, Künstliche Intelligenz, Astrophysik und weitere spannende wissenschaftliche Felder, die emsig mit dem immer wiederkehrenden Argument bestellt werden, die Natur sei unvollkommen:
"Sehen Sie,(....) das Gehirn enthält alles, was den Menschen ausmacht, Wissen und Hoffen, Liebe und Hass. Ein Apparat zum Denken und Fühlen. Milliarden Nervenzellen sind darin auf äußerst komplizierte Weise miteinander verknüpft. Ein paar Millionen Jahre hat die Natur für dieses Spitzenprodukt gebraucht. Ein bewundernswertes Ding, aber trotzdem höchst unvollkommen. Wir brauchen etwas Besseres."

Die Autoren unterlegen ihren Thriller mit einer ganz eigenwilligen Atmosphäre: Menschen und Tiere verhalten sich merkwürdig, das Licht scheint verändert, und es ist ein seltsames Geräusch zu hören - eine neue Melodie, die dissonant aber auch interessant klingt, so als schwinge die Welt in einer neuen Frequenz. "Nada Brahma, die Welt ist Klang."

Der Science-Thriller ist in Deutschland eine weitgehend unbearbeitete Sparte. Das ist gut so, denn nur wenige Versuche erträgt man länger als dreißig Seiten. Anders jedoch "Gottes Gehirn". Johler und Burow ist ein spannender und fundierter Thriller geglückt. Nur schade, dass die beiden Hauptfiguren seltsam unberührt durch das erschreckende Szenario wandeln. Auch hätte der Schluss gern etwas weniger esoterisch sein können.

Dieser Artikel von Jan Christian Schmidt ist erschienen bei:
titel-magazin.de

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Gottes Gehirn

Leseprobe (Kapitel 1 "Eklund")

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